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07 May 2015

Alex Meszmer, Laudatio Brandl "The 'Hood in miim Chopf" 23 April 2015





Vernissagerede von Alex Meszmer
Mark Staff Brandl - The Hood in miim Chopf
Vadianbank, St Gallen

Sehr geehrte Damen und Herren,

Genau an den Tag kann ich mich nicht mehr erinnern, an dem Mark und ich Nachbarn wurden. Aber es war im Herbst 2001 und wir waren beide Kunstlehrer am Institut auf dem Rosenberg. Wir teilten das Klassenzimmer und bei jeder Begegnung redeten wir über Kunst, die Kunstwelt, die Kunstgeschichte. Wir ärgerten gegenseitig unsere Schüler, indem wir ihnen über ihre Werke jeweils das Gegenteil erzählten… wenn solche Gespräche stattfinden, beginnt eine Nachbarschaft, das war der Anfang von unserer ‘Hood’.

The Hood – das hat auch etwas von Horde, der Stammeshorde, dem Zusammenschluss einer Gruppe in frühgeschichtlicher Zeit, die angeblich etwa 80 bis 120 Mitglieder umfasste und mir wurde schon desöfteren die These zugetragen, dass die Horde als attavistischer Mechanismus bis heute in uns weiterwirke. So sollen auch unsere Adressbücher im Schnitt etwa 80 bis 120 Kontakte enthalten, mit denen wir dauernd im direkten Austausch stehen und so angeblich die menschlichen Kapazitäten für den direkten Kontakt bestimmt werden.

The Hood – die Nachbarschaft – können wir uns nicht wirklich aussuchen. Das sind nicht nur Freunde, obwohl aus Hoodies auch Freunde werden können. Es ist die Schicksalsgemeinschaft, die uns umgibt. Das ist die nächste Umgebung, die mit einer Tasse Zucker oder Salz, etwas Kaffee oder mal einer Schaufel aushelfen kann. Sie kennen das, nehme ich einmal an. The Hood ist das kleine Dorf, das uns umgibt, egal ob wir in einer Megacity oder auf dem Lande wohnen – auch in Berlin, Zürich, New York, London gibt es The Hood. Es ist der Radius in dem ich mich bewege. Das kann Kreuzberg sein, Kreis 4, Chelsea oder das Eastend. Eigentlich leben wir immer in einem Dorf.

Die Umgebung – the area – ist der Ausgangspunkt für The Hood in miim Chopf. Mark Staff Brandl begann die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung zu porträtieren. Aber es sind nicht nur Porträts. In der Manier der Renaissance und Barock Maler wählte er zu jedem Porträtierten einen Gegenstand oder liess ihn auswählen, der charakteristisch für die Person oder die Personen ist. So wird jedes Werk zum Diptichon und jedes Porträt erhält ein Bild mit einem Attribut und erweitert das Abbild der Person mit einer Geschichte.

Attribute kennzeichnen in der Malerei die Dargestellten. Die griechisch-römischen Götter, die Protagonisten aus der Bibel, die Heiligen – sie alle haben Attribute, durch die wir die Personen, die Bilder und damit die auf dem Bild erzählten Geschichten entschlüsseln können: eine Muschel auf dem Meer, Perlen und die Dame ist nackt – das muss die Geburt der Venus/Aphrodite sein; oder ein halbnackter Mann, an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt – das ist der heilige Sebastian während seines Martyriums.

Attribute findet man auch in der profanen Porträtmalerei und das Spannende dabei ist: die Namen und die individuellen Lebensumstände eines oder einer Porträtierten aus der Renaissance wissen wir vielleicht nicht mehr. Aus der Kleidung und den Attributen können wir jedoch Rückschlüsse ziehen auf den Beruf, den Stand und die Eigenschaften, die vom Maler hervorgehoben werden sollten:
der tugendhafte Kaufmann, die vornehme Dame usw.
Mit der Zeit ändern sich die Wirklichkeiten der Bilder.

Wie entschlüsseln wir aber die 44 Attribute dieser 44 Bilder?
Um Ihnen ein Beispiel zu geben, entschlüssele ich Ihnen, was es mit unserem Porträt und unserem Attribut auf sich hat:

So wie Mark Staff Brandl in Trogen, in der Nachbarschaft von St Gallen lebt, leben wir – mein Partner Reto Müller und ich – in Pfyn. Das ist auch in der Nachbarschaft von St Gallen – aber für St Gallen ist der Thurgau gern eher weniger Nachbarschaft, als tiefe Provinz.
Pfyn hat seinen Namen vom spätrömischen Grenzkastell Ad Fines und Reto und ich leben in einem Haus, das auf den Mauern dieses Kastells gebaut ist. Die römischen Mauern waren auch der Grund für ein Kunstprojekt – der zeitgarten und das Transitorische Museum zu Pfyn – and dem wir seit bald zehn Jahren arbeiten. Ad Fines übersetzt heisst an der Grenze, aber vielleicht auch: am Ende der Welt. Ein römischer Soldat, der vor 1700 Jahren nach Pfyn versetzt wurde um dort Dienst zu leisten, fühlte sich wahrscheinlich noch viel mehr in die Provinz verdammt, als ein St Galler, der heute in den Thurgau zieht.
Der Gegensatz zwischen dem Zentrum und der Provinz und die Gefühle, die diese verbinden, das hat uns interessiert, als wir vier Jahre lang versucht haben, eine antike römische Säule von Rom nach Pfyn zu bringen und es ist die römische Säule, die unser Attribut darstellt. Sie sehen unser Attribut verweist auf einen Aspekt unserer Arbeit.

Gleichzeitig kreist das Thema um eine Diskussion, die Mark und ich seit Jahren führen: Was ist Provinz? Was ist ein Zentrum? You always live in a village, sagt Mark dazu. Die Kunstwelt, das Dorf in dem wir Künstler imaginär leben, ist eben auch: ein Dorf. Die Kunstkritikerin Annelise Zwez sagte dazu einmal: Wir in der Kunstwelt leben auf einer sehr kleinen Insel. Vielleicht ist die Kunstwelt noch abgeschlossener als ein Dorf im Appenzell.

Und vielleicht hat das damit zu tun, dass Kunst gerne als elitär betrachtet wird, auch wenn sie dies längst nicht mehr ist. Elitäre Kunst ist für den Adel gemacht, sagt Umberto Eco, nur der Adel hat auch die Zeit und die Musse sich in Kunstwerke hineinzudenken und sich ganz in der Auseinandersetzung eines bestimmten Aspekts zu vertiefen. Der Adel ist aber auch eine aussterbende Spezies.
Mark Staff Brandl behandelt alle Personen und ihre Attribute in seiner Bilderserie gleich – da könnte man ihn als einen demokratischen Maler bezeichnen.

The Hood in unserer heutigen Welt betrifft natürlich auch unsere virtuelle Umgebung: Facebook, Twitter, Instagram, tumblr.
Social Media hat The Hood erweitert und wir diskutieren Ausstellungen, Philosophie und Kunst mit Menschen, die wir im analogen Leben vielleicht nie getroffen hätten.
Interessanterweise ist dies keine neue Erfindung, denn Grenzen überwindende Kommunikation in der Kulturwelt existiert seit der Erfindung transportierbarer Botschaften.
Trogen mit den Zellwegern, ihren Kontakten und ihrer ausscheifenden Korrespondenz im 18./19. Jahrhundert bietet dazu ein Beispiel.
Trogen – The Hood, Marks Nachbarschaft – da ist sie wieder und diesmal im historischen Kontext.

Als ich Mark Staff Brandl vor bald 15 Jahren kennenlernte, bezeichnete er sich als konzeptueller Maler. Er denkt in kunstgeschichtlichen Dimensionen und seine künstlerische Nachbarschaft geht weit über Trogen, die Ostschweiz und auch die Schweiz hinaus. Wären Zeitreisen bereits erfunden, Mark würde sie nutzen um direkt in die Ateliers der Künstler aller Zeiten zu reisen, um mit ihnen zu diskutieren. Er wäre mit Sicherheit dauernd unterwegs. Er weiss, was er tut und bei allem, was er tut, kommt er immer wieder auf die Malerei zurück. Malend experimentiert er mit dem Bezug zu Geschichte und Kunstgeschichte, mit Kontext, mit Kultur, seiner sozialen Umgebung, mit philosophischen und soziologischen Aspekten und er dokumentiert und kommentiert was um ihn herum passiert.

Nehmen wir heute Abend als Beispiel. Wir befinden uns in einer Bank. Hier geht es um Bares und Banknoten. Wenn der Künstler, seinen Porträtierten anbietet, dass sie die Bilder gegen Aktivitäten, Dienstleistungen oder andere Objekte tauschen können, ist das von vorneherein mitbedacht, auch eine kleine Rebellion und steht im Kontext mit dem Ausstellungsraum an sich.

Was unser Attribut zu unserem Porträt bedeutet, habe ich Ihnen enthüllt. Jetzt bietet sich aber für Sie, sehr geehrte Damen und Herren, heute endlich einmal die Gelegenheit, den immer etwas peinlichen Smalltalk an Kunstvernissagen zu umgehen. Sie können mit den anwesenden Porträtierten ganz locker ins Gespräch kommen, indem sie über die Geschichten der Attribute reden. So können wir heute Abend von einem Kunstpublikum einer Ausstellung ganz einfach zu Nachbarn werden. Dann sind wir The Hood. Brandls Hood! nicht nur in seinem Kopf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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